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Klimakleber

WORTE AUF DEN WEG / WORTE FÜR DEN TAG am 9. Dezember von Pastor Thomas Steinbacher, Ev.-methodistischen Kirche Berlin

Mein Gott, was für ein Tag! Jetzt hat es mich nämlich auch erwischt. Wenn man’s schon mal eilig hat! Jetzt stehe ich hier im Stau. Die Autos vor und neben mir machen Hupkonzert, alle sind sauer. Und auch ich, mein Gott, ich könnte ins Lenkrad beißen!

Denn vorne an der Kreuzung haben sich drei oder vier Leute auf den Boden gesetzt und anscheinend – ja – kleben die jetzt fest. Mein Gott, diese albernen Klima-Kleber! Die Letzte Generation, wie die sich selber nennen. Klingt dramatisch. Klingt nach Moralkeule. Wollen uns ein schlechtes Gewissen machen.

Meinen Termin werde ich wohl verpassen! Und ich hab noch überlegt, ob ich lieber doch mit den Öffentlichen fahre… Aber bei dem Wetter in der vollen U-Bahn? Da hat dann doch wieder die Bequemlichkeit gesiegt. Im Auto hab ich als erstes die Sitzheizung angemacht. Gott sei Dank für meine Sitzheizung.

Ach Gott, es sind zwei Frauen und ein junger Mann. Eine von den beiden Frauen ist schon etwas älter, so mein Jahrgang. Eine Klima-Oma sozusagen. Sich bei dem Wetter hier auf die Straße zu kleben, sich das Gehupe und das Geschreie der Autofahrer anzuhören… Respekt. Da muss man schon ziemlich verzweifelt sein. Oder extrem überzeugt. Oder beides! O Gott, die Klima-Oma versucht jetzt, einem erbosten Autofahrer etwas zu sagen. Doch der schreit nur rum. Gleich klebt er ihr eine! Vielleicht hat sie Enkel, so wie ich?

Klar, es stimmt: Was wir unsern Enkeln für eine Welt hinterlassen, das ist schon... Mein Gott, das macht mir schon auch zu schaffen! Was sage ich, wenn meine Enkel mich eines Tages fragen, wo ich denn war, damals in den entscheidenden 3 oder 4 Jahren, als man das Ruder noch hätte herumreißen können. Was ich denn getan habe gegen die Klimakatastrophe… für die Bewahrung der Schöpfung? Mein Gott, was werde ich dann sagen? Dass ich mich über verrückte Aktivisten aufgeregt habe, die sich auf die Straßen geklebt haben? – Dass wir dann doch zu sehr an unserem Wohlstand geklebt haben? Und ich an meiner Sitzheizung - werde ich das meinen Enkeln sagen müssen? O Gott, was für Gedanken. Und ich merke, dass ich die ganze Zeit mit mir selber rede und mit dir, mein Gott. Jetzt hat die Polizei die Klima-Oma von der Fahrbahn gelöst und trägt sie weg. Man sieht, dass sie zittert, vor Kälte, vor Aufregung. Gleich kann der Verkehr wieder fließen. Mein Gott, was für ein Tag!

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